Ein Interview mit Florian Mair und Rüdiger Müller
Die Lage im Gesundheitswesen spitzt sich weiter zu: Immer mehr Krankenhäuser und Unternehmen im medizinischen Umfeld geraten in finanzielle Schieflage. Zwischen 2020 und 2024 meldeten insgesamt 88 Krankenhäuser Insolvenz an – allein im Jahr 2024 waren es 24. Auch 2025 zeigen erste Fälle, darunter die Schön-Klinik-Gruppe, die Parkklinik Hornbach und die Krankenhaus Schwabach gGmbH, dass der Trend anhält. Betroffen sind nicht nur Kliniken, sondern auch deren Lieferanten, vor allem im Großhandel mit medizinischen Produkten. Über 430 Insolvenzen in den relevanten Branchen verdeutlichen, wie entscheidend ein vorausschauendes Risikomanagement in der gesamten Lieferkette ist. Genau darüber sprechen wir heute mit Rüdiger Müller, Selbstständiger Berater im Gesundheitswesen mit dem Fokus Lieferkette und Einkauf und Florian Mair, Experte für Credit Risk & Collections Prozesse bei der CRIF GmbH.
Wie gehen Kliniken aktuell mit der Herausforderung um, die Bonität und Zahlungsfähigkeit von Lieferanten regelmäßig zu überprüfen? Und wie sieht es andersherum aus, also aus Sicht der Lieferanten?
Rüdiger Müller: Viele Lieferanten prüfen die Zahlungsfähigkeit der Kliniken – über Wirtschaftsauskunfteien, aber auch durch direkten Kontakt zum Einkauf. Diese gegenseitige Vorsicht schafft Transparenz und Stabilität. Warnhinweise wie ausbleibende Lieferungen oder Hinweise von Einkaufsgemeinschaften helfen uns, Risiken frühzeitig zu erkennen.
Wie können Wirtschaftsauskunfteien Kliniken helfen, finanzielle Schwierigkeiten oder Insolvenzrisiken bei ihren Geschäftspartnern frühzeitig zu erkennen?
Florian Mair: Wirtschaftsauskunfteien liefern nicht nur aktuelle Geschäftszahlen, sondern wir als CRIF bieten auch Frühwarnungen aus Medienquellen – etwa bei Insolvenzen in Eigenverwaltung. Ein ganzheitliches Monitoring der relevanten Geschäftspartner ist entscheidend, um Ausfallrisiken zu senken und die Versorgung planbar zu halten.
Wie wirkt sich aus Ihrer Sicht die wirtschaftliche Stabilität von Lieferanten konkret auf die Versorgungssicherheit in Kliniken aus?
Müller: Sehr direkt. Lieferverzögerungen, Kommunikationsprobleme oder plötzliche Preiserhöhungen sind oft erste Anzeichen. Im schlimmsten Fall drohen Lieferausfälle. Deshalb setzen wir auf Mehrlieferantenstrategien, Pufferbestände und strategische Partnerschaften mit stabilen Anbietern.
Welche Besonderheiten gilt es bei der Bonitätsprüfung von kleinen und mittelständischen Lieferanten im Gesundheitswesen zu beachten?
Mair: Bei kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU) liegen häufig nur unvollständige Finanzdaten, meistens nur die Jahresabschlüsse, vor. Daher ergänzen wir diese Informationen mit vollständigen Finanzdaten und fassen dies in einer Bonitätseinschätzung zusammen. Neben Zahlen sind Branchenkenntnis und Marktverständnis wichtig. Eine offene Kommunikation auf Basis externer Daten hilft, Risiken besser einzuschätzen und Überraschungen zu vermeiden.
Welche Risiken sehen Kliniken, wenn Geschäftspartner finanziell instabil sind, und wie beeinflusst das ihre Einkaufsentscheidungen?
Müller: Instabilität gefährdet die Versorgung, verursacht Mehrkosten und erschwert die Planung. Deshalb achten wir bei der Auswahl von Geschäftspartnern zunehmend auf deren wirtschaftliche Gesundheit – das ist heute fast so wichtig wie Produktqualität.
Wie zuverlässig sind Bonitätsindizes als Frühwarnsysteme für wirtschaftliche Krisen bei Geschäftspartnern?
Mair: Sie sind ein gutes Frühwarnsystem, weil sie viele Daten bündeln. CRIF ist in der Lage, aufgrund von unterschiedlichsten internen und externen Quellen (tagesaktuell) und stetigen Verbesserungen in der Analyse dieses System zu verbessern. Aber sie sind kein absoluter Schutz. Plötzliche Krisen können trotzdem auftreten. Deshalb sollten sie mit individuellen Analysen und Gesprächen kombiniert werden.
Welche Empfehlungen würden Sie Kliniken und Lieferanten geben, um finanzielle Risiken auf beiden Seiten zu reduzieren
Müller: Strategisches Lieferantenmanagement ist essenziell: Bonitätsprüfungen, Kennzahlen-Monitoring und enger Austausch. Auch vertragliche Flexibilität hilft, im Notfall schnell zu reagieren. Lieferanten wiederum sichern sich durch angepasste Zahlungs- und Lieferbedingungen ab – was den Prozess aber oft verlangsamt.